Etwas #UnternehmenGegenRechts in der Organisationsentwicklung
Ausgelöst durch eine kürzlich erschienenen Studie zu Demokratie und Arbeitswelt stellen wir uns die Frage, wie im Rahmen von Organisationsentwicklung dem Rechtsruck entgegengetreten werden kann.
Welche konkreten Praktiken können durch Empowerment der Mitarbeitenden, inklusive Entscheidungsfindung und Teilhabe wirksam werden?
Dazu stellen wir 3 konkrete Methoden vor, die es wert sind, umgesetzt zu werden, um ein kollaboratives und respektvolles Arbeitsumfeld entstehen zu lassen. Denn die Erfahrung von Selbstwirksamkeit in einem Raum, der den Großteil des Alltagserlebens bestimmt, ist zentral für das Demokratieerleben und -leben der Menschen.
Reale Beteiligungserfahrung schlägt Transformationstheater.
…aus Möglichkeiten der Mitbestimmung noch stärker als bisher reale Beteiligungserfahrungen zu machen…
Dieser Satz aus der Einleitung der im Dezember 2023 veröffentlichten Studie Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung will uns nicht aus dem Kopf.
Als Praktizierende von New Work und Agilität verstehen wir, dass Mitbestimmung, Teilhabe, Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz einen Beitrag leistet dazu, dass die Zustimmung zu extrem rechten Aussagen und Positionen spürbar sinkt.
Im Bereich der Organisationsentwicklung wissen wir, dass es in Bezug auf Menschen und Systeme ein individuelles und kollektives Innen sowie ein ebensolches Außen gibt. Diese Bereiche stehen in Beziehung zueinander, beeinflussen sich konstant gegenseitig. Veränderungen in einem Bereich ziehen immer Veränderungen in den übrigen nach sich. Das Innere beeinflusst das wahrnehmbare Äußere und umgekehrt.
Welche Musik gespielt wird, beeinflusst das individuelle Verhalten der Tanzenden.
Wer also den Großteil des eigenen Tages in einem durch die Grundrechte bestimmten und partizipativen, offenen und vielfältigen Umfeld verbringt, der hat wenig Anlass, nach Feierabend eine rechte Partei zu wählen und erfährt auch, dass die eigene Stimme zählt.
Wer den Swing in sich trägt, kann nicht im Gleichschritt marschieren.
– Coco Schumann, Swing Gitarrist und Überlebender des Holocaust
Die Forschenden des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) der Universität Leipzig konnten dies zeigen: Wer glaubt, durch eigenes Handeln in der Arbeitswelt etwas zum Positiven verändern zu können, der stimmt deutlich weniger Aussagen zu, die rechte Positionen spiegeln oder festigen.
Umgekehrt führt Erleben von Ohnmacht, Übergangen werden bei Entscheidungen dazu, dass eher solchen Aussagen wie „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ zugestimmt wird.
Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit in einem Raum, der den Großteil des Alltagserlebens bestimmt, ist zentral für das Demokratieerleben und -leben der Menschen.
- wenn man sich übergangen fühlt, hält man politisches Engagement wahrscheinlicher für sinnlos
- wenn man offen über Mitbestimmungsinstrumente (wie einen Betriebsrat, oder eine Retrospektive) sprechen kann, hält man es wahrscheinlich für sinnvoller
- wenn man Konflikte gemeinsam im Unternehmen lösen kann, hält man es für sinnvoller
- wenn man aktiv Wirksamkeit eigenen Tuns im Unternehmen erlebt, hält man es für sinnvoller
Was heißt das für Transformationen und Veränderung im Unternehmen?
Arbeit muss sich ändern, Strukturen und Systeme geschaffen werden, in denen Menschen selbstbestimmt wachsen dürfen und sich handlungsfähig fühlen, wenn wir Demokratie fördern wollen.
Wo die Stiftung naturgemäß vor allem Gewerkschaft und Betriebsrat als Instrumente der Mitbestimmung sieht, sehe wir in der Transformationsbegleitung vielfältige Wege, Arbeit im Unternehmen partizipativer, inklusiver zu gestalten.
Häufig wird aber doch in Unternehmen und Teams agiles Theater und Pseudo New Work gespielt, die Diskussionen um Home-Office und korrekte Formulierung von Tickets als User Stories überlagern die Grundgedanken von Agilität und/oder New Work. Nicht Fokus, Respekt, Courage, aus Fehlern lernen und selbstwirksam Mitentscheiden stehen mehr im Zentrum des Handelns, sondern beispielsweise Scrum Theater und tägliche Statusreports, die als Daily getarnt werden.
Während also grundlegende Veränderung und ernsthaftes Neuorganisieren von Arbeit, Durchbrechen von Silos und herkömmlichen top down Entscheidungswegen durch neue Ablauf- und Aufbaustrukturen sowie das Umsetzen und Leben von Methoden der Business Agilität oder Instrumente wie wirklich gute Meeting Facilitation den Boden bereiten können für Teilhabe und Mitbestimmung[1], geht es schlussendlich ebenso darum, dass wir aus diesen geschaffenen Möglichkeiten echte Erfahrungen schaffen.
Und hier spielt es nun die allergrößte Rolle, wie im Alltag mit den Möglichkeiten umgegangen wird. Wie schafft man es, vom großen Ganzen ins Alltägliche, in real Erlebtes zu kommen?
Bereiche des Erlebens und wirkungsvolle Ansätze
Mindestens drei Bereiche wirken zentral auf dieses Erleben:
- Wie geht man im Team, im Unternehmen mit Entscheidungen um?
- Wie lebt das Unternehmen Führung?
- Wie wird respektvoller Umgang der Menschen untereinander befördert, welche Rolle spielt Kommunikation im Unternehmen?
Für jeden dieser Bereiche möchten wir Euch ein Tool und eine Grundhaltung an die Hand geben, das dafür sorgen kann, dass nicht nur die Möglichkeit der Mitbestimmung geschaffen wird, sondern diese auch zu einem Gefühl der Wirksamkeit weiterentwickelt werden kann.
Wir gehen dabei davon aus, dass Veränderung im Unternehmen mit Ernsthaftigkeit angegangen wird.
1. Umgang mit Entscheidungen
Decision Daily
Ihr erinnert Euch, dass es beim Daily nicht um die drei unsäglichen Fragen geht, sondern im Kern um die tägliche, mindestens regelmäßige Tages- oder Wochenplanung des Teams?
Wenn man sich also dazu abspricht, wer was macht und was man gemeinsam an diesem Tag oder in diesem Intervall erreichen möchte, lohnt es sich, auch über zu treffende Entscheidungen zu sprechen:
Welche Entscheidung werdet Ihr heute treffen? Wie trefft Ihr sie? Braucht ihr dazu noch Informationen oder ein Gespräch? Fühlt ihr Euch wohl damit?
Eine einfach umzusetzende Anerkennung und Sichtbarmachung des Entscheidungsprozesses, der erlaubt, als Team zu lernen und die die individuelle Autonomie oder Gruppenentscheidung wertzuschätzen.
Allgemein wichtige Haltung:
Transparente Entscheidungen und Entscheidungswege führen zu konsequenter Umsetzung.
2. Perspektive auf Führung
Rolle vorwärts
Alle im Team sollten mal in die Schuhe der anderen schlüpfen. Es spricht wirklich gar nichts dagegen, dass auch die Geschäftsführung mal die Schreibtische wischt, Regale einräumt oder den Gabelstaplerführerschein macht.
Diese Aktion kann beliebig groß oder klein aufgezogen werden: Ihr könnt gern damit anfangen, dass alle Meetings im Team in wechselnden Rollen moderiert werden.
Vielleicht fangt ihr auch erstmal damit an, alle Rollen im Team und Unternehmen explizit zu machen – von Spülmaschineneinräumer bis Verantwortliche für Kostenkontrolle. Ihr fördert damit Empathie, Verständnis für die Aufgaben der anderen, und Führungsverantwortung und Entscheidungen treffen kann nebenbei auch gelernt werden.
Allgemein wichtige Haltung:
So altbekannt wie wirksam ist die konsequente Übergabe von Ergebnisverantwortung statt des Übertragens einer Aufgabe, die kontrolliert wird.
3. Umgang miteinander
Feedback Circles
Etabliert kleine Feedbackgruppen mit wechselnden Teilnehmenden, unabhängig von deren Ebene oder Position im Unternehmen.
Alle, die teilnehmen, dürfen die anderen um Feedback bitten, zu bestimmten Situationen, Entscheidungen, zu ihrer Arbeit.
Natürlich gehört da auch dazu, wertschätzendes Feedback und Aktives Zuhören zu etablieren und zu üben. Es muss immer freiwillig sein, teilzunehmen und um Feedback zu bitten. Es ist auch erlaubt zu sagen, dass man diesmal kein Feedback geben oder empfangen möchte.
Dieses Vorgehen erlaubt, sich in sicherem Umfeld neue Impulse zu holen, Kommunikation und wertschätzenden Umgang miteinander zu üben und die eigene Arbeit oder Herangehensweise zu überprüfen.
Allgemein wichtige Haltung:
Regardless of what we discover, we understand and truly believe that everyone did the best job they could, given what they knew at the time, their skills and abilities, the resources available, and the situation at hand.
Norm Kerth, Project Retrospectives: A Handbook for Team Review
Diese Vorgehensweisen sind Möglichkeiten, zu lernen, selbstbestimmt zu arbeiten und die Veränderung dadurch wahrzunehmen. Alle diese Tools können sowohl im Kleinen im Team, als auch größer im gesamten Unternehmen oder auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt werden. Sie funktionieren für Wissensarbeit und im Handwerk. Wir empfehlen immer erstmal üben, dann skalieren.
Was also tun?
Es ist vollkommen klar, dass einzelne Maßnahmen kein Allheilmittel darstellen, und – wie übrigens in der Studie auch dargestellt – in einer dem Autoritarismus anheimgefallenen Arbeitsumgebung wenig Hoffnung besteht, mit vereinzelten Maßnahmen mit wenigen Mitarbeitenden eine Veränderung zu bewirken.
In Unternehmen aber, die sich werteorientiert verhalten, denen Diversität und Offenheit wichtig ist, geht es darum, in konkreten Alltagssituationen zu leben, was auf dem Papier steht.
Prozesse und Frameworks gilt es, mit Erlebnissen zu füllen, die Selbstwirksamkeit und Teilhabe spürbar machen. Das gelingt nur im Konkreten – und nur, wenn dahinter Ernsthaftigkeit steht.
Über den Zugewinn an Effektivität und Wert für das jeweilige Unternehmen wird genug gesprochen, darum geht es ein andermal wieder.
Das heißt: #UnternehmenGegenRechts stehen nicht (nur) vor einer ideologischen Arbeit, wenn sie gegen den Rechtsruck vorgehen wollen. Sie stehen besonders vor einer praktischen, umsetzungsorientierten Herausforderung.
New Work und Agilität erlauben es, eine Umgebung zu schaffen, die Teilhabe, Selbstwirksamkeit und Respekt fördert. Mit konkreten Methoden für den Alltag verbessern wir nicht nur die Effektivität und Produktivität des Unternehmens oder Teams, sondern fördern den Kulturwandel, den es braucht, um dem Rechtsruck entgegenzutreten.
#GemeinsamGegenRechts bedeutet, dass wir einen neuen Weg einschlagen, Schritt für Schritt, in allen Teams und Unternehmen.
Oder, mit Bergmann:
Das Ziel der neuen Arbeit besteht nicht darin, die Menschen von der Arbeit zu befreien, sondern darin, die Arbeit so zu transformieren, dass sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen hervorbringt.
Quellen/Inspiration:
- Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, neue Kultur.
- Esther Derby; Diana Larsen: Agile Retrospectives: Making Good Teams Great.
- Frederic Laloux: Reinventing Organizations.
- Norm Kerth: Project Retrospectives: A Handbook for Team Review.
- Johannes Kiess, Alina Wesser-Saalfrank, Sophie Bose, Andre Schmidt, Elmar Brähler und Oliver Decker für die Otto-Brenner-Stiftung: Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland. Erlebte Handlungsfähigkeit im Betrieb und (anti)demokratische Einstellungen.
- Daniel H. Pink: Drive: The Surprising Truth About What Motivates Us.
- Coco Schumann: Der Ghetto Swinger – eine Jazzlegende erzählt.
[1] Apropos: dafür wäre auch grundlegend, die Probleme im Unternehmen vor Beginn einer Veränderung mit schmerzhafter Ehrlichkeit und Courage unter die Lupe zu nehmen und dann gezielt und mit passender Strategie Maßnahmen und Möglichkeiten zu identifizieren, und erst dann zu handeln. Pflaster mit Einhörnern auf einer ernsthaften Krankheit helfen leider niemand. Wer statt Pflaster eine ernsthafte Analyse braucht: dabei unterstützen wir gern.